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Zur Gestalt der Mutter lässt sich folgendes vernehmen:
„Sie lebte ein Leben für sich, teilte es nur selten mit
der Familie, und die Kinder verspürten dies weit mehr als der mitten im geschäftlichen
Leben stehende und von ihm stark beanspruchte Vater. Besonders Georg mit seinen
überwachen Sinnen muss den Riss im Gefüge der Familie schmerzlich empfunden
haben. Er suchte die Mutter, die sich ihm und den anderen entzog, in Ersatzmüttern,
besonders in der Gouvernante, einer Elsässerin, deren Einfluss auf Trakl nicht
unterschätzt werden darf, und später, schon während der Pubertät, bei
Kellnerinnen und Dirnen. ... In ihre (Mutter) museale Welt schloss sie sich
tagelang ein, um dann plötzlich wieder zu erscheinen und den normalen Verkehr
mit der Familie aufzunehmen.
... Frau Trakl-Halick war also ein weiblicher Sonderling,
eine eigenwillige, undurchsichtige Frau, ohne mütterliche Ausstrahlung, aber
von starker musischer Sensibilität. ... Ihre Bedeutung für ihn in ästhetischen,
vielleicht sogar schöpferischen Dingen scheint gross gewesen zu sein,
schliesslich war sie es, die dem Haushalt eine musische, kultivierte Atmosphäre
verlieh. ... Ruhe und Geborgenheit, die Georg bei der Mutter nicht fand, suchte
und fand er in ihren Sammlungen. ...“
Hier wird wie im Bilderbuch die Mond-Saturn-Konstellation
beschrieben; die Suche nach der Mutter, in Ersatzmüttern, in der Umgebung –
die Suche nach dem warmen Schoss. Dazu kommt, neben dem Stande des Mondes in
Haus 10, dass Saturn im mondbeherrschten Haus 11 steht, sowie Pluto als
Herrrscher von 4 in 10. Die dunklen Hintergründe der Familie, besonders der
Mutterseite, werden in Haus 10 massstäblich, also bestimmend für Trakls Leben.
Dadurch, dass auch Neptun im 10.Hause zu finden ist, zeigt sich das Schuldgefühl,
das Trakl begleiten wird:
„... Die Mutter verkörpert in den Vexierspiegeln der
Gedichte etwas Ungreifbares, Transpersonales: das Gewissen (...). Und es
entspricht durchaus dem Bild, das wir uns von dem Schuldbeladenen machen müssen,
wenn er sich gegen den Rache-Engel zur Wehr setzt: mit brutaler Aggression. ...
‚Schreibe mir, Lieber, ob meine Mutter sehr viel Kummer durch mich hat.’ (Aus einem Brief an Buschbeck, seinem langjährigen Freund) ...“
Ebenso drückt sich das Zeitgefühl, dem Trakl in seinen Gedichten geradezu medial Ausdruck verschafft, über diese offenbar alles bestimmende Konstellation aus: „In Trakls Dichtungen sehen wir das verfluchte Geschlecht, das in einem trügerischen Wohlstand dahinvegetiert und geistig wie moralisch verwest, mit der Trakl-Sippe bildlich eins werden (...).“
Der Anstoss zur Aussonderung wird mit der Überquerung des
Saturn in 11 (als Herrscher von 5) gegeben, mit der nachfolgenden Hauptauslösung
der Sonne (als Herrscherin von 12 in 6):
„Zum erstenmal wird hier (bei Trakls Eintritt ins
Gymnasium, mit gut 10 Jahren) von Trakls scheuem Wesen, seinem
‚Absonderungsbedürfnis’ gesprochen. Soeben hörten wir noch von intimen
Zeugen, dass er ein fröhlicher, derber, ja wilder Junge war, jedenfalls ein
Kind mit starken, gesunden, also ungehemmten Sozialkontakten, und nun tritt uns
plötzlich ein ganz anderer entgegen, ein Scheuer, sich isolierender,
offensichtlich Gehemmter (...).“
Zudem wird im unteren Rhythmus mit etwa 12,5 Jahren Uranus (in 2) überquert. In dieser Zeit wird Trakl „umgepolt“, er tritt aus der Herde aus, verliert so gut wie jeglichen sozialen Zusammenhang. Im Alter von 13 Jahren wurde dies offensichtlich: „Als in der Dritten mit dem Griechischunterricht begonnen wurde, verschlechterte sich seine Gesamtleistung so sehr, dass er (...) die vierte Klasse wiederholen musste. Georg scheint damals, abgesehen von der Blamage zu Hause, sich im wahrsten Sinne des Wortes deklassiert gefühlt zu haben, denn er reagierte von jetzt ab auf alles, was die Schule betraf, mit völliger Gleichgültigkeit und zynischer Reserve, die wahrscheinlich nur gespielt waren..“ ... „In der Schule wurde ‚Der Trakl’ allmählich zu einem Synonym für ‚Sonderling’ (...).“
Ein weiteres entscheidendes Jahr war 1904 (Mond-Hauptauslösung),
als Trakl „aufs Ganze“ zu dichten begann und sich auch in einem Kreise
junger literaturinteressierter Leute durch sein besonderes Wesen hervortat:
„Jeder las sein Geschaffenes vor. Unter den sieben Teilnehmern war Trakl der
fruchtbarste und sonderlichste.“
Ein in jenem Jahr verfasstes Gedicht, „Der Heilige“,
endet mit den Worten: „Exaudi me, o Maria!“ (Erhöre mich, o Maria) – der
Schrei der Seele nach „Erhörung durch die Mutter“ (Mond-Saturn)!
Ein Jahr danach muss er sein Gymnasialstudium abbrechen wegen absolut ungenügender Leistungen und beginnt eine Lehre bei einem Apotheker. Von da an wird er allmählich vertraut mit Betäubungsmitteln, ab 1907 sogar mit starken Drogen, zum Beispiel mit Morphium. 1907, mit gut 20 Jahren, bahnt sich die Neptun-Auslösung an. 1906 wird sein Einakter „Totentag“ im Salzburger Stadttheater aufgeführt. Der Achtungserfolg spornt ihn zu weiterer Dichtung an; wie er aber mit dem Einakter „Fata Morgana“ durchfällt (am selben Ort), wird seine schöpferische Arbeit im folgenden Jahr gelähmt. 1906 entspricht mit „Totentag“ und „Fata Morgana“ der Überquerung des Pluto in 10; 1907, das Jahr der Lähmung entspricht der Neptun-Überquerung (als Herrscher von 7 und 8 in 10). Pluto bildet ein Quadrat zu Mars am DC, der etwa gleichzeitig mit der Neptun-Überquerung fällig wird.
Mit 21 beginnt die Venusphase. Nun kommen die bedeutsamen
Ereignisse von der Begegnung her, und gegen Ende der Phase wiederum in
Verbindung mit Pluto und Neptun in Haus 10. Zunächst besteht Trakl Anfang 1908
erfolgreich die „Tiromedicinalprüfung“ und nimmt im Herbst ein
viersemestriges Universitätsstudium der Pharmazie auf. Als entscheidende
literarische Begegnung lernt er das Werk Rimbauds kennen. 1908: Hauptauslösung
der Venus als Herrscherin des 10.Hauses beim DC (Ende sechstes Haus).
Danach beginnt eine produktive Zeit mit einigen
Publikationen, und er erlangt nach Aussage seines Biographen „die endgültige
dichterische Reife“.
Während des Herbstes 1911 fällt er in schwerste Depressionen. In dieser Zeit seiner „Bilderschwemme“ (Pluto, Mond, Neptun, Mars, Venus, siehe Horoskop) beginnt er das Bedrohliche der Weltsituation offenbar wehrlos in sich aufzunehmen. Zwischen Mond und Pluto findet ein enormer Bildzufluss statt, trotz des Ableistens von Sanitätsdienst, worin er „Platzangst“ und „Depersonalisierungszustände“ erlebt – er ist wohl auf der Höhe seiner dichterischen Intensität.
Die fatale Koppelung von Venus und Mars mit Pluto und Neptun erweist sich im Frühling 1913 als „Kette von Krankheit und Verzweiflung“. Zum Zeitpunkt der Aspektauslösung des Pluto erscheint das „Nachtlied“; im Herbst, genau sieben Jahre nach „Fata Morgana“, erleidet er die bis anhin wohl schwerste seelische Krise.
Aus einem Brief, der auf den November 1913 datiert wird:
„...und es haben sich sonst in den letzten Tagen für
mich so furchtbare Dinge ereignet, dass ich deren Schatten mein Lebtag nicht
mehr loswerden kann. Ja, verehrter Freund, mein Leben ist in wenigen Tagen unsäglich
zerbrochen worden und es bleibt mir nur mehr ein sprachloser Schmerz, dem selbst
Bitternis versagt ist... Vielleicht schreiben sie mir zwei Worte; ich weiss
nicht mehr ein und aus. Es ist ein so namenloses Unglück, wenn einem die Welt
entzweibricht. O mein Gott, welch ein Gericht ist über mich
hereingebrochen...“
Am 24.8.1914 wird Trakl in den Krieg eingezogen.
„In der Schlacht um Grodek war Trakls Sanitätskolonne
zum ersten Male eingesetzt worden. Ohne ärztlichen Beistand musste er in einer
Scheune (...) an die hundert Schwerverwundete betreuen. Zwei Tage und zwei Nächte
hörte er nichts als das Stöhnen und Jammern der Gemarterten. Immer wieder
wurde er von dem oder jenem
angefleht, der Qual doch ein Ende zu machen. Einer, den ein Schuss in die Blase
getroffen, jagte sich vor Trakls Augen eine Kugel in den Kopf – blutige
Gehirnteile klebten an der Wand. Da wurde ihm schwarz vor den Augen, und er
eilte ins Freie; doch dort ragten kahle, gespenstische Bäume in den Himmel und
an jedem schaukelte ein Gehenkter (...).“
Er will dem Inferno entrinnen, weil er es nicht mehr aushält, es werden ihm die Waffen abgenommen, er wird psychiatriert, bringt sich um.
Über die „pathologischen“ Seiten von Trakls Leben ist viel sinniert worden; aus der horoskopischen Grundlage können wir ersehen, dass seine Konstellation am MC etwas vorwegnimmt als Ahnung, als sich innerlich bildendes Geschwür der Vorstellung – den allgemeinen Zustand Europas, seiner zeit an sich. Ein medialer Zug? Ein Ausgesetztsein dem Übergriff, letztlich dem Krieg selbst?
Im Krieg hat er zwei Gedichte geschrieben, „Klage“ und „Grodek“. Letzteres sei hier zitiert:
GRODEK
Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen, die goldenen Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.
Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt,
Das vergossene Blut sich, mondne Kühle;
Alle Strassen münden in schwarze Verwesung.
Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten
durch den schweigenden Hain,
Zu grüssen die Geister der Helden, die blutenden
Häupter;
Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten
des Herbstes.
O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre,
Die heisse Flamme des Geistes nährt heute ein
gewaltiger Schmerz,
Die ungebornen Enkel.
Nehmen wir eine „Fortsetzung seines Lebens“ an: die Pluto-Neptun-Konstellation wäre bis ins Alter von 49 Jahren ständig in ähnlicher Weise wiedergekehrt! Der Gedanke ist zwar müssig – doch die Tatsache, dass sich Trakl mit knapp 28 Jahren mittels einer geheim bei sich getragenen Überdosis Kokain umbringt, wird zumindest verständlich im Angesicht eines Krieges, in den Massen junger Männer euphorisch zogen. Sie wussten nicht, dass eine Menschenschlächterei begann, die ihresgleichen bis dahin noch nicht kannte.
Bei der „Auslösungs-Maschinerie“ des Horoskopes sehen
wir zwei Hauptpunkte: das Ausgestossenwerden (durchaus auch ein
Sich-Selbst-Ausstossen) ab 11 Jahren, was notgedrungen zu einer sehr frühen und
ausgeprägten, extrem unangepassten Eigenart führt. Er wird, wie zahlreiche
Zeugnisse belegen, ausgesprochen provokativ und zeigt immer weniger
Bereitschaft, mit der maroden Gesellschaft der Jahrhundertwende Kontakt
aufzunehmen.
Er wird (medial oder visionär) zum kündenden Dichterengel
einer Zeit, die alles, was er erahnt, erfüllt – bei seinem Tod und noch lange
Zeit danach. Der Ausgestossene, dessen sich alles Schattenhafte seiner Zeit bemächtigt?
Insofern ist die Kopplung des Ausschlusses mit der
MC-Konstellation ausgesprochen hart. Es bleibt „keine Zeit“ für den
Frieden.
Danach sie es gerade diese Menschen, von der Nachwelt „tragische Genies“ genannt, die uns wirkliche Dichtung überliefern – Bilder aus einer Seele, die sich nicht länger verschweigen kann, aufbrechend wie im folgenden Beispiel, das diese kleine Betrachtung zu Georg Trakl abschliessen soll:
SEBASTIAN IM TRAUM
...
Frieden der Seele. Einsamer Winterabend.
Die dunklen Gestalten der Hirten am alten Weiher;
Kindlein in der Hütte von Stroh; o wie leise
Sank in schwarzem Fieber das Antlitz hin.
Heilige Nacht.
...
Freude; da in kühlen Zimmern eine Abendsonate erklang,
Im braunen Holzgebälk
Ein blauer Falter aus der silbernen Puppe kroch.
...
Rosige Osterglocke im Grabgewölbe der Nacht
Und die Silberstimmen der Sterne,
Dass in Schauern ein dunkler Wahnsinn von der Stirne des Schläfers sank,
Quelle zu den biographischen Ausführungen:
Otto Basil, Trakl, rororo bildmonographien, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg 1965
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